Den Augenblick erfüllen

Erschienen im Landboten vom 29.01.2013

Der Schweizer Komponist Hans Ulrich Lehmann ist am Samstag im Alter von 75 Jahren gestorben. Er gehörte zu den profilierten Exponenten der Neuen Musik seiner Generation.
Erst Ende Mai 2012 war Hans Ulrich Lehmanns (Bild) jüngstes Werk «Songs» für Cembalo solo im Rahmen des Stadtzürcher Musikpodiums uraufgeführt worden. Seine Werkliste beginnt 1960 mit «Structures transparentes» für Klarinette, Viola und Klavier. 1964 komponierte er das Klarinetten-Solostück «Mosaik», dessen Teile in beliebiger Reihenfolge aneinandergereiht werden können. «In mobiler Form», so die Stückanleitung, biete es «zahlreiche neuere spieltechnische Möglichkeiten». Das experimentelle Erforschen von Klangräumen blieb zeitlebens ein Anliegen und ein Markenzeichnen von Lehmanns Musik. Seit 1973 integrierte er auch immer wieder Singstimmen in seine Kompositionen.

«Es geht mir um eine Musik, die in ihren besten Momenten den Augenblick festhalten und zum Verweilen bringen könnte, um eine Musik, die sich in ebendiesem Augenblick erfüllen würde», bekannte Hans Ulrich Lehmann in einem Statement, und er hielt daran fest, dass dies bei allem notwendigen Konstruieren, was Komposition ja auch heisse, eine ganz intuitive Hörerfahrung bedeuten müsse.

Auf die grosse Masse zielte Lehmann nicht, Hauptsache, die Erfahrung werde gemacht, «und wäre es auch nur von einigen wenigen Zuhörern und nur in den stärksten, den ‹begnadetsten› Augenblicken des Werkes.» Allerdings war Lehmanns Erfahrung auch die, keineswegs am Rand des Musiklebens zu stehen, und er sprach vom Glück, dass ihm Musiker wie Konzertorganisationen immer wieder die Möglichkeit geboten hätten, seine Musik zu schreiben und zur Aufführung zu bringen.

Gespielt und geehrt
Der eindrückliche Werkkatalog ist ein Beleg dafür. Dieser zeigt auch, dass sich zum Beispiel anlässlich seines 70. Geburtstages die «Tage für Neue Musik» mit dem Tonhalle-Orchester ebenso seinen Werken widmeten – «Apparition pour soprano et orchestre», 2007 – wie das Musikkollegium Winterthr, das mit Fabio di Càsola seine «Favole» für Klarinette und Orchester uraufführte, oder das En­sem­ble des Theaters am Gleis in Winterthur, das ihm damals einen ganzen Abend ausrichtete und mit «Magica» für Sopran und Klavier auch eine Uraufführung präsentierte.

Hans Ulrich Lehmann wurde am 4. Mai 1937 in Biel geboren. Nach einer Ausbildung zum Cellisten studierte er Musiktheorie und Komposition bei Paul Müller-Zürich, Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen. Hinzu kamen musikwissenschaftliche Studien an der Universität Zürich bei Kurt von Fischer.

Lehmann lehrte an verschiedenen Hochschulen. Von 1976 bis 1998 war er Direktor des Konservatoriums und der Musikhochschule Zürich. 1983–1986 präsidierte er den Schweizerischen Tonkünstlerverein (STV). 1973 erhielt er den Musikpreis der C.-F.-Meyer-Stiftung, 1988 den Komponistenpreis des STV, 1990 den Kunstpreis der Stadt Zollikon, 1993 den der Stadt Zürich. Lehmann lebte in Uster.

von sda/hb