Im Innern des Klangs

Der Schweizer Komponist Hans Ulrich Lehmann ist 75-jährig gestorben. Erschienen im Tages-Anzeiger vom 28.01.2013

Es war still geworden um Hans Ulrich Lehmann in letzter Zeit. Aber wenn Werke von ihm gespielt wurden, dann zeigte sich, wie viel er noch zu sagen hatte. Etwa in «Apparition», uraufgeführt 2007 bei den Zürcher Tagen für Neue Musik - einem Stück, das so zerbrechlich und sinnlich, so uneitel und persönlich klang, wie die Musik Lehmanns eben klingen konnte.

Bis vor ein paar Jahren hatte er den Schweizer Musikbetrieb nicht nur mit seinen Werken geprägt. Geboren 1937 in Biel, ausgebildet als Cellist und Komponist (unter anderem bei Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen), war Lehmann auch Leiter der Zürcher Musikhochschule (1976-1998), Präsident des Schweizerischen Tonkünstlervereins und der Urheberrechtsgesellschaft Suisa. Und, nicht zuletzt, ein ungemein anregender, ironiebegabter Lehrer: Seine Analysekurse, die er auch an der Universität Zürich gab, gehörten zu jenen Lektionen, bei denen die Studierenden die Pausen gern weggelassen hätten (was nicht ging, weil Lehmann rauchen wollte). Wer ihn je über Schuberts Streichquartette oder Ligetis «Atmosphères» reden hörte, wird sich bei jeder Aufführung dieser Werke wieder an seine Bemerkungen erinnern.1993 erhielt Hans Ulrich Lehmann den Kunstpreis der Stadt Zürich. In seiner Laudatio sprach Rudolf Kelterborn von der «inneren Glut» seiner Werke, von den Nöten und der Schönheit, von der sie erzählen, ohne dass der Komponist viele Worte verliere. Damals hatte sich Lehmann längst von der seriellen Technik verabschiedet, mit der er in den 1960ern in Darmstadt Furore gemacht hatte. Zwar blieb er stets ein Vertreter der klassischen Avantgarde, seine Arbeit führte ihn anders als viele seiner Kollegen nicht in Richtung Theatermusik oder aussereuropäische Stile, sondern sozusagen in den Klang hinein. Aber dort fand er immer wieder neue Nuancen - manchmal herbe, öfter leise. Es gehe ihm «um scheinbar unwichtige Kleinigkeiten, die meist kaum bewusst gehört werden», schrieb er einmal. Wie er diese «Kleinigkeiten» zum Vorschein brachte: Das war auf unverkennbare Weise immer wieder überraschend.

von Susanne Kübler